wissenschaftliche Revolution

wissenschaftliche Revolution
wissenschaftliche Revolution,
 
im engeren Sinn ein Prozess, in dessen Verlauf eine Wissenschaftlergemeinschaft (Scientific Community) eine von ihr bislang akzeptierte und benutzte Theorie durch eine in Grundannahmen andere, doch theoretisch und praktisch leistungsfähigere Theorie ersetzt. Dabei werden insbesondere auch Widersprüche (»Anomalien«) zwischen ermittelten Tatsachen und der alten Theorie behoben, denen gegenüber sich diese als hilflos erwies. Diese Sichtweise der wissenschaftlichen Revolution wurde v. a. durch T. S. Kuhn geprägt, wobei er in einen solchen »Paradigmenwechsel« (Paradigma) auch die mit einem Theorienaustausch verbundenen methodischen, organisatorischen oder institutionellen Veränderungen einbezog. Die Kuhn dabei v. a. bewegende Frage war die, warum, wie und wann eine Wissenschaftlergemeinschaft ihr Instrumentarium wesentlich verändert beziehungsweise überhaupt verändern kann.
 
Im weiteren Sinn ist der Ausdruck wissenschaftliche Revolution nicht allein auf einzelne Theorien bezogen, sondern auf Umwälzungen innerhalb ganzer Wissenschaftsdisziplinen oder der Wissenschaft (sowie der mit ihr verbundenen kulturellen Umstände) insgesamt. In dieser Bedeutung wird wissenschaftliche Revolution schon 1765 von I. Kant (in einem Brief an J. H. Lambert), später auch von G. W. F. Hegel, K. Marx u. a. benutzt. Heute wird v. a. der gesamte Prozess der Herausbildung der neuzeitlichen Wissenschaft in Europa von der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts bis ins 18. Jahrhundert als wissenschaftliche Revolution bezeichnet (A. Koyré, J. D. Bernal u. a.).
 
Der Ausdruck wissenschaftlich-technische Revolution, eingeführt von Bernal und international besonders durch Arbeiten des tschechischen Sozialtheoretikers R. Richta bekannt geworden, bezeichnet den gewaltigen und sozial höchst folgenreichen technischen Umbruch, der seit dem 2. Drittel des 20. Jahrhunderts auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse besonders im Produktions- und Kommunikationsbereich stattfindet. Die computergestützte Steuerung und Regelung von Produktionsabläufen, die fortschreitende Automatisierung von materiellen wie intellektuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen, die Einrichtung weit verzweigter technischer Systeme der Datenerfassung und -verarbeitung sowie die Nutzung der Kernenergie sind wichtige Kennzeichen dieses Prozesses.
 
 
J. D. Bernal: Die Wiss. in der Gesch. (a. d. Engl., 31967);
 
Zivilisation am Scheideweg, hg. v. R. Richta u. a. (a. d. Tschech., 21968);
 A. Koyré: Études galiléennes (Neuausg. Paris 1980);
 A. Koyré: Von der geschlossenen Welt zum unendl. Universum (a. d. Engl., Neuausg. 1980);
 A. R. Hall: The revolution in science (Neudr. London 1995);
 T. S. Kuhn: Die Struktur w. R. (a. d. Amerikan., 141997).

Universal-Lexikon. 2012.

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